Mittendurch 

Die A-30-Nordumgehung Bad Oeynhausen: Ein Jahrhundertprojekt spaltet die Kurstadt 

Von Johannes Wöpkemeier und Jürgen Krüger, Lokalredaktion Bad Oeynhausen

Über 40 Jahre lang wurde geplant, beschlossen, verworfen, neu geplant, gekämpft und geklagt. Im Juli 2008 lehnte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage der Gegner gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Nordumgehung gab, damit war die Planung für den Lückenschluss zwischen den Autobahnen A 2 und A 30 rechtskräftig. Im Oktober 2008 begann der Bau. Mit dem Lückenschluss sollen die letzten neun Ampeln zwischen Amsterdam und Moskau wegfallen. Derzeit sind drei von vier Bauabschnitten fertig gestellt. Zeit für die Neue Westfälische, sich die Großbaustelle aus der Luft anzuschauen. Wir nehmen Sie mit auf einen exklusiven Rundflug über die 9,5 Kilometer lange Trasse. Und wir sprechen mit Anwohnern, Befürwortern, Gegnern und Planern.

Zwischen dem Anschluss an die A 2 in Rehme und der Brücke über die Werre in Löhne ist die Nordumgehung zum Großteil fertig gestellt. Durch einen Vergabefehler  bei der Ausschreibung des letzten der vier Bauabschnitte im November 2014 wird der Anschluss an die A 30 in Löhne voraussichtlich erst 2018 abgeschlossen. Derzeit werden vornehmlich Lärmschutzwände gebaut. Der offenporige Asphalt wird 2017 als einer der letzten Bauschritte auf die Fahrbahn aufgetragen.

Die Entlastung der Mindener Straße

Bis zu 40.000 Fahrzeuge donnern täglich über die Mindener Straße, die Verbindung zwischen A 30 und A 2. Durch die Wiedervereinigung ist das Verkehrsaufkommen deutlich angestiegen, viele Güter werden von den Niederlanden über Bad Oeynhausen bis in die baltischen Staaten geliefert. Die Folge: ein gefühlter Dauerstau auf der “Stadtautobahn”.

Um dieses Problem zu beheben, gab es bereits 1965 erste Überlegungen, eine Umgehungsautobahn zu bauen.

Wer künftig von der A 2 kommend weiter Richtung Niederlande fahren will, überquert die Werre auf der 150 Meter langen Pylon-Brücke zwischen Rehme und Dehme. Dann geht es in den Untergrund: Der 450 Meter lange Hahnenkamp-Tunnel besteht aus 45 Blöcken. 660 Kubikmeter Beton wurden für einen Tunnelblock verarbeitet, 90 Tonnen Stahl verbaut.

Die Arbeiten am Rohbau des Tunnels wurden im September 2014 abgeschlossen. Zur Zeit werden die Beleuchtung, die Brandmeldeanlage und die Videoanlagen eingebaut.

Das erste Teilstück der künftigen A 30 zwischen den Anschlussstellen Dehmer Spange und Eidinghausener Straße steht den Autofahrern schon seit März 2014 zur Verfügung. Das 1,5 Kilometer lange Teilstücke entlastet vor allem die umliegenden Straßen.  

Eine Stahlbrücke führt die Bergkirchener Straße in Werste über die neue A 30. Gefertigt wurden die vier Stützen aus Stahl im niedersächsischen Sande. 36 Tonnen wiegen dabei die beiden äußeren und 32 Tonnen die beiden inneren Elemente. Sven Johanning, Pressesprecher von Straßen NRW, zeigt das stattliche Bauwerk von unten:

Unmittelbar neben der Brücke über die Bergkirchener Straße wohnt Wilfried Weihe. Wenn der 76-Jährige früher in seinem Garten saß, schaute er auf ein grünes Feld. Heute guckt er auf die Trasse der Nordumgehung. Denn direkt hinter seiner Gartenhecke beginnt der Standstreifen der künftigen Autobahn. Noch hört er nur die Baufahrzeuge, ab dem kommenden Jahr rasen vermutlich tausende Fahrzeuge an seinem Domizil vorbei. Seit 50 Jahren wohnt Weihe in diesem Haus, den Lärm kann er noch nicht abschätzen. Eines stört ihn aber schon heute:

Neben Wilfried Weihe ist auch Rainer Barg ein Gegner des Autobahnbaus. Bereits Anfang der 1970er Jahren hat er gegen das Großprojekt gekämpft. Denn er befürchtet, dass das Projekt schlimme Folgen für Bad Oeynhausen mit sich bringt. Barg und seine Unterstützer beziehen sich in ihrer Argumentation auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die im Zuge der Planungen gemacht wurde. Die sagte massive Lärmbelastung, Landschaftszerstörung und negative Auswirkungen für die Bebauung vorher. Die Folgen sind für ihn eindeutig:

Für Barg ärgerlich, denn die Gegner der Nordumgehung  hätten sich während der Planungsphase mehr Unterstützung seitens der Anwohner gewünscht. Und auch von der Politik zeigt er sich enttäuscht:

Wie Rainer Barg kämpften auch viele andere Mitglieder der Notgemeinschaft jahrzehntelang gegen den Bau der Nordumgehung. Denn die Planung dieser Ortsumgehung für die Autobahn 30 begann bereits vor 50 Jahren, im Jahr 1965. Nachdem zwischenzeitlich - wie auch von der Notgemeinschaft gefordert - eine Tunnellösung favorisiert wurde, entschied sich der Stadtrat Bad Oeynhausen 1993 für die Nordumgehung. Die Bezirksregierung Detmold legte die Planung im März 2001 öffentlich aus.

Nach Jahren der Diskussion und mehr als 1.000  Einwendungen gegen die Planungen  schlug die Bezirksregierung 2005 dem Verkehrsministerium NRW vor, den Planfeststellungsbeschluss zu erlassen. Denn die Nordumgehung sei “für das öffentliche Wohl unverzichtbar”. Der Beschluss erging am 2. Januar 2007. Barg und seine Mitstreiter der Notgemeinschaft klagten  gegen den Beschluss vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Am 9. Juli 2008 wurde die Klage jedoch abgewiesen. Am 22. Oktober begann der Bau der Nordumgehung.

Im November 2014 wurde eine europaweite Ausschreibung für den letzten von vier Bauabschnitten veröffentlicht, vorgesehen waren die Vergabe der Bauaufträge und der Baubeginn für den Anschluss der A 30 an das Löhner Kreuz im Mai 2015.

Aufgrund eines Formfehlers im Angebot ist ein Bieter vom Verfahren ausgeschlossen worden. Die Vergabekammer Westfalen stimmte nach einer Prüfung des Vergabeverfahrens der Argumentation von Straßen NRW zu, dagegen legte die Baufirma jedoch erneut Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein. Die zuständigen Richter gaben der Baufirma recht. Straßen NRW plant eine erneute Vergabe im Februar 2016.

Nun soll die Nordumgehung voraussichtlich 2018 fertig sein. Allerdings soll die Strecke nach Möglichkeit schon 2017 für den Verkehr freigegeben werden. Dann wird  das Löhner Kreuz allerdings noch nicht fertig sein.

Auch wenn Manfred Kreylos, Vorsitzender der Bürgerinitiative “Pro Nordumgehung” lange für den Bau der Nordumgehung gekämpft hat, so zeigt er bei der Bauverzögerung kein Verständnis:

Auf der Zielgeraden der Nordumgehung kommt den Straßenbauern der Verkehr in die Quere. Acht Jahre lang wurde die neue Autobahn in Bad Oeynhausen und Löhne quasi auf der grünen Wiese gebaut. Beim letzten Akt, dem Anschluss der Nordumgehung an die A 30 im Löhner Kreuz, muss nun dort gebaut werden, wo täglich bis zu 40.000 Fahrzeuge rollen. Das und die komplexen Verkehrsbeziehungen zwischen A 30, Nordumgehung und B 61 machen das Gewerk anspruchsvoll. „Das Beste kommt eben zum Schluss”, sagt Sven Johanning, Pressesprecher von Straßen NRW.

Die Gesamtkosten der Nordumgehung wurden beim Beginn des Baus 2008 noch auf 160 Millionen Euro veranschlagt. „Inzwischen sind Kosten von 203 Millionen Euro genehmigt”, sagt Johanning.

“Wer hätte je geglaubt, dass das größte Nadelöhr Deutschlands eines Tages frei sein wird?” Diese rhetorische Frage stellt Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, bei der Einweihung der Nordumgehung am Donnerstag, 6. Dezember 2018. Aber, es geht noch pathetischer. Nordrhein Westfalens Verkehrsminister Hendrik Wüst spricht am Nikolaustag ins Mikrofon: “Eine Wunde in Ihrer Stadt wird heute geheilt.”

Rund 700 Gäste folgen der Einladung von Straßen NRW, um zum Hahnenkamptunnel in Dehme zu pilgern. Dort sind Getränkebuden, Grillwagen und Rednertribüne aufgebaut. Es spielt sogar eine kleine Band, und zwei Pfarrer segnen die Nordumgehung. Zum Durchtrennen des Bandes in den Farben gold-rot-schwarz treten gleich zwölf Offizielle an, wobei Verkehrsminister und Staatsminister die europäische Dimension des Lückenschlusses betonen. Drei Tage später, am Sonntag, 9. Dezember 2018, erfolgt die Teilfreigabe in Richtung Osnabrück/Amsterdam mit einer Jungernfahrt.

Bis der letzte Pflasterstein gesetzt, das letzte Schild montiert und der letzte Pinselstrich trocken sind dauert es bis Mitte 2020, dann ist das 230 Millionen Euro teure Jahrhundertwerk vollendet. Zum Abschluss unserer Multimediareportage fliegen wir erneut über die jetzt fertige Nordumgehung. Die beiden NW-Redakteure Jürgen Krüger und Jörg Stuke kommentieren diese zehnminütige Flugreise. Zu Wort kommt auch Wilfried Weihe, der erzählt, wie es sich an der Nordumgehung lebt.

Der zweite Film zeigt die Mindener Straße und die Kanalstraße. Wo sich jahrzehntelang tausende Fahrzeuge durch Bad Oeynhausen gequält haben, herrscht jetzt freie Fahrt. Die Nordumgehung erfüllt somit ihren Zweck. Nun steht der Rückbau der zweistreifigen Fahrbahn an. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Mittendurch 
  1. Die Nordumgehung
  2. Video-Rundflug 1:
  3. Video-Rundflug 2:
  4. Video-Rundflug 3
  5. Bau des Löhner Kreuzes
  6. Einweihung und Jungfernfahrt
  7. Die Vollendung