“Ein ständiges Wechselbad der Gefühle”
Das war die Hinrunde 2016/2017 des SC Paderborn
Eine Einheit sollt ihr sein
Viel Optimismus im Trainingslager in Herzlake (04.07.-10.07.)
Die zweite Liga war Geschichte, der Neuanfang stand vor der Tür. In der dritten Liga würde alles besser werden, war die Hoffnung. Eine neue Mannschaft, neue Hoffnungsträger, eine neue Liga: Die Begeisterung und Vorfreude auf die neuen Aufgaben war groß. Grund genug für rund 600 Fans, das erste offizielle Training am neuen Trainingsleistungszentrum zu besuchen. Die Mannschaft würde sich erst finden müssen, aber einige positive Ansätze konnten schon beobachtet werden.
Es folgten Gerüchte über die Rückkehr einer Identifikationsfigur, am 21. Juni war es fix: Christian Strohdiek wechselte zurück an die Pader. Die Begeisterung kannte fast keine Grenzen, für viele Fans war spätestens jetzt die Hoffnung auf eine erfolgreiche Saison zurück.
Für den richtigen Feinschliff und um eine Einheit zu bilden, reiste der SCP-Tross dann nach Herzlake ins Trainingslager. Unter guten Bedingungen trainierten die Spieler auf dem Platz, Paintball-Aktionen und Mannschaftsabende sorgten für die nötige Abwechslung auf dem Platz. Fans und Verein hatten Lust auf die Aufgaben in der 3. Liga. Voller Euphorie träumte der ein oder andere sicherlich vom Aufstieg am Ende der Saison.
Durchwachsener Auftakt
Spieltage 1-6
Die Hoffnung auf die dritte Liga war groß. Die Enttäuschung nach den ersten Spielen umso größer. Voller Euphorie waren viele Paderborner Fans zum Eröffnungsspiel der Dritten Liga nach Duisburg gekommen, um ihre Mannschaft tatkräftig anzufeuern. Doch die Ernüchterung nach 90 Minuten konnte nicht in Worte gefasst werden. Die spielerischen Elemente, die der SC Paderborn zu bieten hatte, waren doch arg limitiert. Doch den MSV Duisburg als Mitabsteiger durfte man auch nicht unterschätzen. Das dachten viele Fans, als es am Ende 1:0 für die Gastgeber von der Wedau stand.
Nach dem 3:1-Sieg im ersten Heimspiel gegen Mainz II war die blau-schwarze Welt vorerst in Ordnung. Mit einem schnellen Tor in der 6. Minute begann der eindrucksvolle Sieg, der nach dem Spiel emotional von Mannschaft und Fans gefeiert wurde. Es schien möglich, dass endlich wieder eine Einheit entstehen könnte. Die dritte Liga würde ein Erfolg werden, glaubten viele. Doch dann kam alles anders.
So feierten die SCP-Fans ihre Mannschaft nach dem Spiel gegen Mainz II:
Der 2:1-Auswärtssieg in Wiesbaden konnte niemanden so richtig beruhigen. Es folgte eine desaströse Heimniederlage gegen Holstein Kiel, in der nichts zusammenlief. Der SCP stand vor einem Scherbenhaufen. Keine funktionierende Einheit, die Fans wurden immer unruhiger und Trainer Müller stand bereits zum frühen Zeitpunkt der aktuellen Spielzeit unter Druck.
Exkurs: Ex-Präsident Finke meldet sich zu Wort
Nur wenige Wochen waren nach dem Rücktritt von Wilfried Finke als Präsident vergangen, schon erhitzten sich die Gemüter im Verein und in dessen Umfeld. Der Ex-Präsident warf Trainer René Müller über die Medien unter anderem vor, keine Ziele formuliert zu haben. Gleichzeitig äußerte Finke scharfe Kritik an der Zusammenstellung der Mannschaft, es sei kein Leader vorhanden und die spielerische Qualität sei nicht ausreichend. Müller zeigte zwar Verständnis für den Ärger von Finke, reagierte aber äußerst angefressen auf diese Kritik in der Öffentlichkeit. Die Situation beim SCP spannte sich weiter an, auch intern schien es heftig zu brodeln. Eine ruhige Arbeit nach dem durchwachsenen Saisonstart sieht anders aus.
Der emotionale Höhepunkt der Hinrunde
Spieltag 7
Dass Fußballprofis auf ihre alten Vereine treffen, kommt jedes Wochenende häufiger vor. Meistens wird der Spieler mit Pfiffen begrüßt und verabschiedet, manchmal wird er auch mit Nichtbeachtung gestraft. In sehr, sehr seltenen Fällen wird der Spieler gefeiert. Wie Daniel Brückner, der Fußballgott des SC Paderborn. Der 3:1-Sieg des SCP im Erfurter Steigerwaldstadion wurde fast zur Nebensache, als Publikumsliebling Brückner nach dem Spiel im Dauerregen und mit Bertels-Trikot bekleidet vor den Paderborner Fans stand und applaudierte. Sieben Jahre Verbundenheit gehen weder am Spieler, noch an den Fans vorbei. Das Rückspiel in der Benteler-Arena wurde in gewisser Weise sein Abschiedsspiel. Das, was er nie bekommen hat.
Wer sich das emotionale Spiel von Daniel Brückner noch einmal ansehen möchte, kann hier die Zusammenfassung sehen:
Dedic trifft und wird zum Hoffnungsträger
Spieltag 8
Auf ihn hatten alle Fans sehnsüchtig gewartet. Last-Minute-Neuzugang Zlatko Dedic schnürte in seinem ersten Spiel von Beginn an für den SCP einen Doppelpack und sorgte für ein wahres Spektakel im Heimspiel gegen den Chemnitzer FC. Die Führungsetage hatte ein Einsehen gehabt und mit dem Slowenen einen treffsicheren Stürmer verpflichtet. Plötzlich lief alles wie am Schnürchen. Vier Tore in einem Spiel. 4:2. Über die immer noch wackelige Abwehr sprach an diesem Abend niemand. Der Moment gehörte Zlatko Dedic, dem Hoffnungsträger, mit dem ab sofort alles besser werden sollte.
Die Dedic-Gala noch einmal zum Genießen:
Die Hoffnung ist begraben
Spieltage 9 und 10
Zwei Mal 0:3. Zuerst 0:3 gegen Jahn Regensburg und dann 0:3 gegen Hansa Rostock. Das in der Englischen Woche mühsam erarbeitete Selbstvertrauen hat die Mannschaft innerhalb einer Woche wieder verschenkt. Sechs Gegentore in sechs Tagen waren eindeutig zu viele und ließen die Fans ratlos zurück. Dedic eine Eintagsfliege? Die vier Tore gegen Chemnitz nur eine Ausnahme?
Die Unruhe im Verein und der Druck auf die Verantwortlichen wuchsen. “Müller raus”-Rufe wurden lauter und häufiger.
Die Unzufriedenheit wächst
Spieltage 11-13
Nach den Totalausfällen der Spieltage 9 und 10 fragten sich einige Fans, wie schlimm es in Großaspach werden würde. Mit tatkräftiger Unterstützung der SG und dem Rotsünder Schiek, konnte der Abwärtstrend gestoppt werden. Zlatko Dedic sorgte mit einem erneuten Doppelpack für die Trendwende. Ein weiterer Treffer von Ben Zolinski sorgte für den 3:2-Sieg in Baden-Württemberg. Zufriedenheit unter den Fans sah anders aus.
Ein mageres 0:0 gegen Halle zeigte der SCP eine Woche später vor heimischem Publikum. Einziger Hoffnungsschimmer der trostlosen Vorstellung war das erste “zu Null” der laufenden Spielzeit. Die Paderborner hatten dabei noch Glück, dass die Haller den Ball nur an die Querlatte droschen. Die Pfiffe nach dem Schlusspfiff waren unüberhörbar. Mit Müller und Hornberger hatten die Fans die Verantwortlichen für die Misere gefunden.
Das Maß war voll und das Fass übergelaufen. Mit einem 0:3 am Bornheimer Rang gegen den FSV Frankfurt war die leichte positive Phase zunichte gemacht und die Wut der Fans ungebrochen. Die Leistung der Mannschaft hielten viele Fans für nicht mehr unterstützenswert, die Handlungen der Vereinsverantwortlichen stießen auf kein Verständnis mehr. Nach dem Spiel liefen die Planungen für einen Fanboykott an.
Der Fanboykott
Spieltag 14
An manchen Tagen wird Fußball zur Nebensache. Der 5. November war so ein Tag, wo das Fußballspiel des SCP gegen den VfR Aalen fast zur Nebensache wurde. Das zweite 0:0 in der heimischen Arena, ein weiteres “zu Null”, und doch wird sich niemand mehr an das Gekicke auf dem Platz erinnern.
Viel bedeutender waren die beiden Fanproteste, die in den sozialen Netzwerken angekündigt wurden. Viele Fanclubs beteiligten sich an der Aktion “Kurz vor Zwölf” und blieben die ersten zwölf Minuten unter der Südtribüne. Parallel zu dieser Aktion waren viele Fans erst gar nicht ins Stadion gekommen und trafen sich im benachbarten Hofladen. Viel verpassten beide Lager nicht, einzig die Schlussminuten nach der Gelb-Roten-Karte von Aalens Kartalis brachten etwas Spannung in die Partie.
Eine gewaltige Spannung entlud sich dann auch nach dem Spiel in der Pressekonferenz, als Trainer René Müller die eigenen Fans angriff.
Exkurs: Ex-Präsident Finke schließt seine Rückkehr nicht aus
Der Rücktritt vom Rücktritt ist offenbar möglich. Die sportliche Talfahrt des SC Paderborn schlug hohe Wellen, einem bereitete die Misere besonders Kopfschmerzen. Ex-Präsident Wilfried Finke hatte nicht ausgeschlossen, in die Führungsetage zurückzukehren. Das Wort „Präsident“ nahm Finke zwar nicht in den Mund, ein Dementi gab es allerdings auch nicht. Es stecke „zu viel Herzblut“ im Verein und deshalb sei es sein persönliches Anliegen, „das weitere Absinken der Strahlkraft verhindern zu helfen”, so Finke. Nicht bei allen stieß diese Ankündigung auf Begeisterung. Viele Anhänger machen den Ex-Präsidenten für die beiden letzten Abstiege mitverantwortlich. Mit seiner extrovertierten Art kommt nicht jedermann zurecht.
Der Supergau - Trainer Müller muss gehen
Spieltag 15
0:6. Gegen Lotte. Wer nach Magdeburg, Regensburg, Rostock und Frankfurt gedacht hatte, dass es nicht schlimmer geht, der wurde eines Besseren belehrt. 3:0 stand es für die Gastgeber bereits nach 30 Minuten, der Begriff Totalausfall trifft es wohl ganz gut. Es waren sechs Messerstiche ins verwundete SCP-Herz. Dem Verein blieb keine andere Wahl als Trainer René Müller zu entlassen, die Mechanismen des Marktes griffen einen Tag nach dem Spiel.
Trotz Trainerentlassung keine Besserung in Sicht
Spieltage 16 und 17
Beim Premierenspiel von Interimstrainer Florian Fulland kam der SCP nicht über ein mühsames 1:1 gegen Fortuna Köln hinaus, Zlatko Dedic sorgte mit einem Last-Minute-Ausgleich in der 86. Minute für ein wenig Erleichterung unter den Anhängern und Vereinsverantwortlichen. Spielerische Meisterleistungen konnte man nicht erkennen, dafür kämpfte die Mannschaft um den einen Punkt und belohnte sich schließlich auch. Nach dem Spiel wurde bekannt, dass Fulland das Team auch zum Auswärtsspiel nach Zwickau begleiten würde.
Gegen einen direkten Konkurrenten im Abstiegskampf wollte der SCP zurück in die Erfolgsspur- wie so oft in dieser Saison. Und wie so oft stand am Ende eine deutliche Niederlage auf dem Papier. 3:0 für Zwickau. Dazu eine rote Karte für Dobros. Viele Fans flüchteten sich in Ironie und Spott. Es war langsam nicht mehr zu ertragen und schmerzte viele Anhänger bis auf die Knochen. Personalentscheidungen rückten näher, die Fans waren auf den neuen Trainer und Manager gespannt.
Exkurs: Präsident Finke ist wieder an Bord
und bringt Trainer Stefan Emmerling mit
Nach der sportlichen Talfahrt konnte am Nikolaustag endlich ein neuer Trainer vorgestellt werden. Stefan Emmerling übernahm mit Rückkehrer Asif Saric und Ex-Bielefelder Daniel Scherning die Mannschaft, Wilfried Finke kehrte als Präsident an die Vereinsspitze des SC Paderborn zurück - genau wie seine Vertrauten Rudolf Christa und Josef Ellebracht als Vizepräsidenten in die Führungsetage.
In einer Pressekonferenz am Nachmittag des 6. Dezembers stellte Finke sich den Medienvertretern und gab die Marschroute für die kommenden Monate und Jahre vor. In den nächsten zweieinhalb Jahren soll die Rückkehr in Liga 2 perfekt gemacht werden.
Im Exklusiv-Interview mit der Neuen Westfälischen verriet Finke anschließend, wie er dem SCP, seinen Fans und Mitgliedern und der Stadt Paderborn “den Stolz zurückgeben” kann.
Neuer Trainer, neue Hoffnung?
Spieltage 18 und 19
Fußball kann auch Spaß machen. Die Erkenntnis durften Spieler und Fans seit etwas längerer Zeit endlich einmal wieder erlangen. Mit einem 1:0-Sieg gegen Preußen Münster verließ der SCP die Abstiegsränge der dritten Liga und bereitete den Anhängern endlich einmal wieder die Freude eines Sieges. Wieder einmal war es Zlatko Dedic, der die Ostwestfalen jubeln ließ. So langsam wird der späte Neuzugang schon zur unverzichtbaren Lebensversicherung des SC Paderborn... Weitere Helden des Spiels: Lukas Kruse und das Aluminium. Beide verhinderten in der Nachspielzeit den Ausgleich und sicherten drei wichtige Punkte im Abstiegskampf.
Manchmal läuft es wie am Schnürchen. Wie beim letzten Heimspiel der Hinrunde gegen den VfL Osnabrück. 3:1 war das Ergebnis, viel wichtiger war allerdings der Auftritt der Mannschaft. Leidenschaftlich ging jeder Spieler in jeden Zweikampf, das Team überzeugten durch starkes Kombinationsspiel und riss die geplagten SCP-Fans förmlich von den Sitzen. In der Pause glaubte manch einer zu träumen, doch es stand tatsächlich 3:0. Nach dem Spiel zerrissen die Fans ihr “Kurz vor 12”-Banner vor den Augen der Spieler, die mit ihren Kindern die Ehrenrunde durch das Stadion drehten. Es war ein versöhnlicher Abschluss einer Hinrunde voller Höhen und Tiefen.
nw.de - Der Online-Auftritt der Neuen Westfälischen
Konzeption/ Texte: Andrea Sahlmen
Bilder: Marc Köppelmann, Christian Weische, imago
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