Ein Jahr Coronavirus im Kreis Gütersloh
Ein Rückblick auf die zehn großen Wendepunkte.
Mit dem Anstieg der Fallzahlen auf ihren vorläufigen Höhepunkt zeigt die Corona-Krise Ende März ihre finsterste Seite. Das Gesundheitsamt muss den ersten Todesfall bekanntgegeben. „Im Kreis Gütersloh ist am Dienstag erstmals ein Mensch gestorben, der positiv auf das Coronavirus getestet worden war: Ein 74-jähriger Mann mit schwerwiegenden Grunderkrankungen, an denen er vermutlich auch verstorben ist“, teilt die Kreisverwaltung am 24. März 2020 mit.
Ein weiterer Todesfall wird am 1. April öffentlich gemacht, neun Tage später sind es bereits zehn. Die Zahl der Corona-Toten steigt bis zum 5. Mai 2020 auf 19. Einen Monat später folgt ein weiterer Todesfall, lange Zeit den Sommer über bis Oktober kein weiterer. Den Kreis Gütersloh trifft es in Ostwestfalen am stärksten. Die Kreisverwaltung bittet daher um Spenden und die Bundeswehr um Unterstützung. Mehr Material wie 10.000 Atemschutzmasken seien dringend vonnöten.
Um die Zahl der unaufhaltsam steigenden Corona-Infektionen in den Griff zu bekommen, geht Deutschland und damit auch der Kreis Gütersloh in einen Lockdown ab dem 16. März 2020. Schulen, Kitas und Unis müssen schließen, Veranstaltungen werden untersagt. Landeseigene Kultureinrichtungen machen dicht. Besuche in Krankenhäusern, Pflege- und Senioreneinrichtungen darf es nur noch in besonderen Fällen geben.
In Bussen müssen Fahrgäste Abstand halten, Taxifahrten werden eingeschränkt. Reiserückkehrer sollen sich auf direktem Wege in häusliche Quarantäne begeben. Die Kreisverwaltung schließt ihre Pforten für den Publikumsverkehr. Bäder und Geschäfte dürfen keine Kunden mehr empfangen. Reihenweise kommt das öffentliche Leben zum Erliegen. Es gelten Kontaktbeschränkungen. Die Innenstädte und Straßen sind mit einem Schlag mitten im Wochen-Alltag gespenstisch leer.
Weltweite Wellen schlägt die Nachricht am 14. Juni 2020 über den verheerenden Corona-Ausbruch in Deutschlands größter Schlachtfabrik mit Sitz in Rheda-Wiedenbrück. Die Infektionszahlen im Kreis Gütersloh schnellen in die Höhe, eilig werden Bauzäune um die Unterkünfte von osteuropäischen Werkvertragsarbeitern errichtet. Denn viele versuchen die Region zu verlassen. Der Konzern muss per Verfügung schließen.
Geben Unternehmensvertreter und Kreisverwaltung zunächst eine gemeinsame Pressekonferenz im Kreishaus, gehen sie kurz darauf auf Distanz. Auf 2.100 infizierte Arbeiter beziffert NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die Ausbreitung des Virus im Betrieb. Die Bundeswehr rückt an, um Massentests durchzuführen und geht dafür auch von Haustür zu Haustür.
Die Frage nach der Übernahme der Kosten entbrennt und ruft auch private Anzeigenerstatter auf den Plan. Bis heute stehen die Forderungen im Raum. Der Corona-Gau bei Tönnies rückt erneut auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa in den Fokus. Die Politik sieht sich zum Handeln gezwungen, Werkverträge werden ab 2021 in der Fleischindustrie verboten, Ausnahmen bleiben aber bestehen. Kritiker bemängeln den Kompromiss.
Der massive Ausbruch des Coronavirus im Schlachtbetrieb Tönnies lässt die Infektionszahlen für den Kreis Gütersloh schlagartig in die Höhe schnellen. Die 7-Tage-Inzidenz schießt von unter 30 auf mehr als 270 in einer Woche. Für die Menschen im Kreis Gütersloh beginnen schwere Zeiten. Schulen und Kitas schließen, Reisende werden in Urlaubsorten abgewiesen und Autofahrer mit Kennzeichen GT außerhalb des Kreisgebietes sogar auf das Übelste bepöbelt und angefeindet.
War Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu Beginn der lokalen Krise noch in den Kreis Gütersloh gereist, verkündet er die Verlängerung des regionalen Lockdowns bis zum 7. Juli von Düsseldorf aus im Beisein des hiesigen Landrats Adenauer und des Landrats des ebenfalls betroffenen Nachbarkreises Warendorf. Zu diesem Zeitpunkt liegt der kritische Lockdown-Wert über 100, ohne Tönnies läge er bei 22.
Im Nu werden insgesamt sechs Testcenter unter anderem am ehemaligen Flughafen als Drive-In aus dem Boden gestampft. In den vielen Tests wird ebenfalls eine Ursache für die gestiegenen Werte gesehen.
Klagen von Privatpersonen gegen den Lockdown sind zunächst erfolglos. Doch Anfang Juli fordert auch das Oberverwaltungsgericht eine differenzierte Betrachtungsweise des zurückgehenden Infektionsgeschehens. Am 7. Juli werden die Beschränkungen aufgehoben.
Zum Spätsommer hin heißt es erst einmal Aufatmen auch im Kreis Gütersloh. Die Corona-Werte sinken und sinken und erreichen am 30. Juli ihren Tiefstpunkt mit einer 7-Tage-Inzidenz von gerade mal 6,9. Das Schreckgespenst Corona tritt in den Hintergrund, Urlaubsfreude kommt trotz Mund-Nasenschutz bei vielen auf. Vor allem Erholung an Nord- und Ostsee ist gefragt. Die neue Lockerheit bleibt nicht ohne Folgen. Auf der Deutschen liebsten Urlaubsinsel Mallorca führen aus dem Ruder laufende Parties zu Infektionsausbrüchen. Ein Risikogebiet folgt auf das nächste.
Die Reiserückkehrer haben zudem immer häufiger einen unliebsamen Gast im Gepäck: Das Coronavirus bahnt sich so seinen Weg zurück in die heimische Region. Im Herbst schießen die Zahlen prompt auf neue Rekordwerte. Der bisherige Höchststand durch den Tönnies-Gau wird übertroffen. Trauriger Spitzenreiter ist mit 290,7 ausgerechnet der Heiligabend.
Mit den neuen Höchstwerten, die ab November zu einem zweiten deutschlandweiten Lockdown führen - für den Kreis Gütersloh ist schon der dritte - bricht noch Schlimmeres mit herein. Ein Todesfall folgt plötzlich auf den nächsten. Lange sind es „nur“ 20 Tote, die mit oder an Covid-19 verstarben bis zum 8. Oktober 2020. Dann steigt die Zahl unaufhaltsam an, erreicht am 23. Dezember 2020 die 100 und überschreitet am 19. Januar die 200. Die meisten versterben im Alter zwischen 80 und 89 Jahren.
Aber auch jüngere Menschen werden Opfer des Coronavirus, zwei sind gerade mal in den 20ern. Nur in der Altersklasse 30 bis 39 gibt es bislang noch keinen Toten. Bis heute muss der Kreis Gütersloh fast täglich weitere Todesfälle bekanntgeben. Ende des Jahres 2020 erreichen die Patientenzahl in den Krankenhäusern ihren Höchststand mit 150. Die Belastung auf den Intensivstationen ist mit 17 Patienten am 27. Dezember 2020 am stärksten. Genaue Angaben zu den Toten, ob Mann oder Frau, will die Kreisverwaltung aus Datenschutzgründen nicht preisgeben. Ob dies rechtmäßig ist, müsste nach Experteneinschätzung das Verwaltungsgericht klären.
Während es zum Weihnachtsfest für einige Tage Lockerungen gibt für Verwandtenbesuche, werden strikte Beschränkungen für Silvester verhängt. Ein Feuerwerksverbot wird kontrovers diskutiert und erst nach längerem Zögern ausgesprochen. Strenge Kontaktbeschränkungen gelten für den öffentlichen Raum, Partys – sogar in den eigenen vier Wänden – sind untersagt.
Im Kreis Gütersloh gibt es aufgrund der hohen Infektionszahlen eine nächtliche Ausgangssperre. Die Polizei kündigt im Vorfeld an, verstärkt Präsenz zu zeigen. Doch die Sorgen sind unbegründet - der Jahreswechsel verläuft friedlich ohne größere Vorkommnisse. Still und dunkel endet das erste Jahr einer noch nie dagewesenen weltweiten Pandemie - Zukunft ungewiss.
Immerhin geht es mit den Corona-Neuinfektionen ab Ende des Jahres 2020 stetig bergab und endlich ist auch der lang ersehnte Impfstoff entwickelt und einsatzfähig. Am 27. Dezember 2020 beginnt im Kreis Gütersloh in den 34 klassischen Altersheimen die Impfungen von Bewohnern und Mitarbeitenden. Ein Impfzentrum wird im ehemaligen NAAFI-Supermarkt errichtet, steht aber bis zum 8. Februar leer.
Mit den ersten Impfungen in den Senioren- und Pflegeeinrichtungen wird plötzlich bekannt, dass auch Vorstände, Geschäftsführer und sogar Angehörige von ihnen geimpft sind. Vorwürfe wegen Impf-Vordrängelei werden laut. Eine rechtlich ungeklärte Lage, bewertet auch die Staatsanwaltschaft Bielefeld die Situation. Die Zahl der täglichen Impfungen steigt nur langsam an. Mit dem Start des Impfzentrums und der Terminvergabe bricht auch im Kreis Gütersloh zunächst das organisatorische Chaos aus.
Kaum scheint das Problem Coronavirus allmählich einigermaßen unter Kontrolle zu sein, taucht schon die nächste Hürde auf. Die ersten Fälle von Mutationen im Kreis Gütersloh werden bekannt. Erst trifft es „nur“ eine Familie, dann ein Unternehmen und Anfang März sind die mutierten Viren bereits für ein Drittel der Neuinfektionen verantwortlich, gibt die Kreisverwaltung an. Auf ganz Deutschland betrachtet sind es laut Robert-Koch-Institut fast die Hälfte der Infektionen.
Zu diesem Zeitpunkt sind nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe rund 15.000 Menschen von rund 360.000 im Kreis Gütersloh erstmals geimpft. Rund 5.500 haben ihre Folgeimpfung erhalten. Die bisherigen Impfstoffe brauchen schon jetzt eine neue Antwort auf die veränderten Viren. Fast genau ein Jahr nach Ausbruch gibt es erneut eine Bund-Länder-Konferenz. Erstmals soll ein Stufenplan je nach Infektionsgeschehen über Lockerungen entscheiden. Trotz drohender dritter Welle durch die Mutanten setzt die Bundesregierung auf Impfungen und Schnelltests.