Die Jahrhundertflut von Herford
Vor 70 Jahren überspülten gigantische Wassermassen weite Teile der Herforder Innenstadt
Als die Stadt im Wasser versank
Jahrhunderthochwasser: Baumstämme drückten die Hansabrücke mit großer Kraft nieder, fast alle anderen Brücken wurden unbrauchbar
Herford. Diese Regenmengen waren zu viel: Allein vom 8. auf den 9. Februar 1946 gingen 130 Liter auf den Quadratmeter nieder, ein Fünftel der jährlichen Regenmenge. Schon in den Wochen vorher hatte Herford mit Überschwemmungen zu kämpfen gehabt – aber diese Massen führten vor 70 Jahren zur schwersten bekannten Naturkatastrophe.
Wälder waren wegen Brennholzmangels abgeholzt worden, der Boden konnte kein Wasser aufnehmen. Im ersten Winter nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brachte eine ungewöhnliche Wetterlage das Fass zum Überlaufen.
So nachhaltig, dass Herfords Innenstadt unter Wasser stand. Während die meisten Menschen um ihr Hab und Gut kämpften, schnappte sich Gerichtsassessor Rudolf Westerhaus seinen Fotoapparat. Er dokumentierte das Hochwasser quer durch die Stadt. Auch aus dem Privatbesitz der inzwischen verstorbenen Hannelore Haumann tauchten vor einigen Jahren weitere Fotos auf. Zum Zeitpunkt des Hochwassers war sie erst drei Jahre alt. Sie erinnerte sich jedoch, dass zahlreiche Schweinekadaver auf der Werre trieben.
Polizeibeamte und Sirenen hatten die Bevölkerung gewarnt. Die jedoch nahm diese Warnungen nicht recht ernst. Glücklicherweise waren keine Menschenleben zu beklagen.
Am 9. Februar stiegen die Fluten derart an, dass Paddelboote über die Lübberstraße schipperten und auf diesem Wege Brot auslieferten. Fleischermeister Heinrich Deppe (92) wusste kürzlich noch genau, wie das Hochwasser kam: „Es war nachts, als Onkel Ernst, der Wirt des Ratskellers am Neuen Markt, rief: ,Heini, wach auf, die Werre fließt durch die Lübberstraße! Da sind wir schnell in den Keller und haben uns alles gegriffen, um es trocken vor den Fluten zu retten.“
Die Eheleute Siveke hatten großes Glück. Stadtführer Mathias Polster weiß: „In der Nacht zum 9. Februar 1946 hörten sie ein verdächtiges Knacken. Beide verließen ihr Bett und gingen ins angrenzende Wohnzimmer. In diesem Moment wurde das Schlafzimmer direkt hinter ihnen von der Flut weggespült.“
Ein anderer Zeitzeuge erinnert sich: „Anfangs war die Strömung so stark, dass wir uns nur an den Zäunen vorwärts ziehen konnten. Baumstämme wurden von der zu einem reißenden Fluss angeschwollenen Werre mitgerissen und donnerten mit so großer Wucht gegen die Pfeiler der Hansabrücke, dass sie weggerissen wurden.“
Die Hanse-Figur war nach dem Hochwasser verschwunden und tauchte nie wieder aus den Fluten auf. Auch die Herder-Brücke wurde weggerissen. In den Wohnungen in der Innenstadt stand das Wasser zum Teil brusthoch, Anlieger der Uferbereiche der Flussläufe wurden evakuiert.
Auslöser für das Jahrhunderthochwasser war eine ungewöhnliche Wetterkonstellation. Warme ozeanische Luft führte ungeheure Regenmassen mit sich. In der Zeit vom 28. Januar bis zum 26. Februar wurde in Herford nur ein regenfreier Tag verzeichnet: der 14. Februar.
An vielen Tagen kam reichlich Nass vom Himmel. So am 5. Februar 42,3 Millimeter, am 9. Februar gigantische 136,8 Millimeter. Der Verwaltungsbericht beschreibt die Folgen nüchtern: Die noch in der Werre lagernden Trümmer der durch Fliegerangriffe zerstörten Eisenbahnbrücke Herford-Altenbeken verhinderten zudem den Wasserabfluss erheblich und führten oberhalb des Eisenbahndamms zu einem gewaltigen Aufstau.
Der reichte bis an die Schienenoberkante. Durch den Druck von 1,5 Millionen Kubikmeter aufgestauten Wassermassen brach der Bahndamm am Morgen des 9. Februars an vier Stellen. Mit gewaltigem Druck ergossen sich die Fluten ins tiefer liegende Stadtgebiet. Dabei richteten sie verheerende Schäden an den Häusern und den Ufern an.
Betroffen waren besonders die Neustadt, das Siedlungsgebiet am oberen Werrelauf, ein Teil der Altstadt, der Radewig, sowie der dicht besiedelte Unterlauf der Werre. Auch die Brunnen und Pumpwerke zur Trinkwasserversorgung wurden durch die Überflutung gefährdet.
Fatalerweise fiel die Hochwasserwelle der Aa – sonst für gewöhnlich vier bis sechs Stunden früher als die der Werre – zeitlich mit ihr zusammen. Das ganze Ausmaß der Katastrophe zeigte sich, als das Wasser einige Tage später komplett abgeflossen war.
Die sandreiche Werre hinterließ eine dicke Lehmschicht in den Gebäuden, die meisten Brücken waren beschädigt, die Wehre und Deiche reparaturbedürftig. Der Gasometer an der Werrestraße musste wegen Unterspülung abgebaut werden. An vielen Häusern waren große Schäden entstanden.
Das verheerende Hochwasser löste eine Diskussion aus. Die Erkenntnis: „Im 1.400 Quadratkilometer großen Niederschlagsgebiet der Werre kann die Hochwassergefahr nur durch den Bau mehrerer Rückhaltebecken gemindert werden.“ Um deren Bau kümmerte sich der 1972 gegründete Werre-Wasserverband.
Die Schäden:
Nach den damals angestellten Ermittlungen betrug der Schaden rund 2,8 Millionen Reichsmark.
Davon entfielen 26.000 Mark auf vernichtete Lebensmittel, eine Millionen auf „übrige Schäden“ und mit 1,8 Millionen Reichsmark wurde der Verlust an Ufern, Deichen und öffentlichen Gebäuden beziffert.
Polizeibeamte und Sirenengeheul hatten die Bürger gewarnt, so dass keine Opfer zu beklagen waren.