125 Jahre Dr. Oetker: Mit Backpulver zum Weltkonzern
Auf Zeitreise in Bielefeld – Eine Familie. Ihre Geschichte. Ihr Erfolg.
Jubiläum: Das Familienunternehmen Dr. Oetker feiert im Januar sein 125-jähriges Bestehen. Unternehmenschef Richard Oetker wird im selben Monat 65 Jahre alt
Bielefeld. Ob Pizza, Pudding oder Kuchen: Dr. Oetker ist in aller Munde. Und dies seit nunmehr 125 Jahren. Das Erfolgsrezept des Apothekers Dr. August Oetker, der das Backpulver Backin auf den Markt brachte und für jeweils ein Pfund Mehl die richtige Menge in kleine Tütchen portionierte, haben seine Nachkommen weiterentwickelt und die Firma zu einem weltbekannten internationalen Konzern ausgebaut.
Am 1. Januar feiert das Familienunternehmen Dr. Oetker sein 125-jähriges Bestehen. Nur drei Tage später, am 4. Januar, wird Richard Oetker, der die Oetker-Gruppe nunmehr in der vierten Generation leitet, 65 Jahre alt. Für ihn ist die „erstklassige Qualität“ der Produkte ebenso wichtig wie für den Unternehmensgründer.
August Oetker, dessen Onkel Louis Dohme in Amerika ein Unternehmen zur Arzneimittelherstellung hatte, übernahm als promovierter Naturwissenschaftler 1891 die Aschoff’sche Apotheke in der Bielefelder Niedernstraße. In einer Annonce kündigte er damals an: „Mein Bestreben wird es sein, einen jeden, welcher mein Offizin mit seinem Vertrauen beehrt, auf das beste zu bedienen.“ Oetker baute das Laboratorium aus, um neue Ideen umzusetzen. Zu seinen ersten Erzeugnissen gehörten ein Gesundheitskakao, eine Fußcreme und eine Warzentinktur. Doch so richtig kam das Geschäft nicht in Schwung. Das sollte sich ändern, als Oetker das Backpulver Backin entwickelt hatte und es für nur zehn Pfennig pro Tüte an Kunden verkaufte – mit dem Versprechen, dass damit jeder Kuchen gelang. Schon früh gab der Unternehmer ein eigenes Backbuch heraus. Als Bäckersohn – sein Vater August Adolph besaß eine Bäckerei in Obernkirchen – kannte er die Backvorgänge aus der väterlichen Backstube.
Und der Doktor hatte auch ein Händchen für gute Werbung. Um sein Produkt bekannt zu machen, versah August Oetker es mit seinem Namen als Garanten bester Qualität – damit entstand einer der ersten Markenartikel des Landes. Es folgten weitere Pro-dukte wie Puddingpulver, Aromen und Speisestärke. Wegen der starken Nachfrage bezog August Oetker 1900 mit seinen Mitarbeitern einen Fabrikneubau in der Bielefelder Lutterstraße, dem heutigen Unternehmenssitz. Nur einige Jahre später, 1908, ging der Unternehmensgründer mit seiner ersten ausländischen Gesellschaft in Baden bei Wien an den Start. Zwei Jahre nachdem sein Sohn Rudolf Oetker im Krieg gefallen war, starb August Oetker am 10. Januar 1918, zehn Monate vor dem Kriegsende, im Alter von nur 56 Jahren. Er hinterließ ein Unternehmen, das trotz der Folgen des Ersten Weltkriegs in Europa bereits zu den bedeutenden seiner Art gehörte.
Das Familienunternehmen überlebte auch den Zweiten Weltkrieg. Der Enkel des Firmengründers, Rudolf-August Oetker, begann nach dem Tod von Richard Kaselowsky, der zwischenzeitlich als Unternehmenslenker eingesprungen war, mit dem Wiederaufbau des Unternehmens nach dem Kriegsende. Heute erinnert die Dr.-Oetker-Welt am Stammsitz an die Ursprünge der Oetker-Gruppe, die bis heute vollständig im Familienbesitz ist.
Auch die Amtszeit des jetzigen Konzernchefs endet bald – offiziell Ende 2016. Richard Oetkers Sternzeichen ist der Steinbock. Er gilt bekanntlich als Dickkopf, aber auch als verantwortungsbewusst, geduldig, fleißig und produktiv. Der bevorstehende Rückzug von Richard Oetker, der trotz seiner Entführung 1976 seinen Optimismus nie verloren hat, bedeutet eine Zäsur in der Unternehmensgeschichte. Erstmals dürfte ein familienfremder Manager an die Spitze rücken. Als Kandidat gilt Finanzchef Albert Christmann.
In den richtigen Pötten gerührt: So ist das Familienunternehmen gewachsen
DER GRÜNDER
August Oetker, gebürtig aus dem Bückeburger Land, übernahm als promovierter Naturwissenschaftler 1891 in Bielefeld die Aschoff’sche Apotheke. Hier baute er das Laboratorium aus und entwickelte ein „Verfahren zur Herstellung von dauerhaftem Backpulver“, das er sich 1903 patentieren ließ. 1900 gründete der spätere Kommerzienrat seine Firma Dr. August Oetker.
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DER STATTHALTER
Richard Kaselowsky, Bankkaufmann und Jugendfreund von Rudolf Oetker, dem Sohn des Gründers, heiratete 1919 die Witwe Ida Oetker, nachdem ihr Mann Rudolf Oetker im Krieg gefallen war. Kaselowsky, der den Nationalsozialisten nahestand und später bei einem Bombenangriff starb, führte die Firma, um sie für Idas Sohn Rudolf-August Oetker zu erhalten.
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DER STRATEGE
Rudolf-August Oetker, Gründerenkel, schmiedete mit Beratern nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem bereits internationalen Nahrungsmittelhersteller einen breit aufgestellten Konzern mit den Sparten Lebensmittel, Getränke, Schifffahrt, Banken/Versicherungen, um „nicht alle Eier in einen Korb zu legen“, wie der Patriarch zu sagen pflegte. Er war Vater von acht Kindern.
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DER MACHER
August Oetker (71), Gründerurenkel und gelernter Reedereikaufmann mit Ehrendoktortitel, kam 1981 an die Spitze der Oetker-Holding. Unter den kritischen Augen seines Vaters entwickelte er die Unternehmensgruppe erfolgreich weiter zu einem weltweiten Konzern mit mehr als 300 konsolidierten Betrieben. 2010 wechselte er an die Spitze des Beirats.
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DER JOKER
Richard Oetker (64), Diplom-Braumeister und Bruder von August Oetker, trat 1980 in das Unternehmen ein – vier Jahre, nachdem er Opfer einer Entführung geworden war. 2010 übernahm er mit 59 Jahren überraschend die Führung – als eine Art Joker in der Nachfolgersuche. Er setzte auf eine weitere Internationalisierung und Zukäufe wie Coppenrath & Wiese.
Pizza, Schiffahrten, Hotels: Wo Dr. Oetker sonst noch mitmischt
Der ehemalige Firmenpatriarch Rudolf-August Oetker hat aus dem einstigen Backpulver-Hersteller einen breit aufgestellten Gemischtwarenkonzern (Lebensmittel, Sektkellerei, Brauerei, Schifffahrt, Banken, Hotels) entwickelt, den seine Erben zu einer internationalen Unternehmensgruppe weiter ausgebaut haben. Die Backin-Tütchen spielen als Umsatzbringer heute nur noch eine Nebenrolle. Sie sind aber ein wichtiger nostalgischer Bestandteil der Marke Dr. Oetker. Viele Verbraucher denken bei Dr. Oetker noch immer vor allem an Kuchenbacken. Es ist ähnlich wie bei der Marke Nivea: Die Pflegecreme kam 1911 in einer Dose auf den Markt. „Die Verbraucher verknüpfen die Marke Nivea mit der Dose. Es wäre ein Fehler, wenn Nivea heute darauf verzichten würde“, sagt Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbandes. Zur Oetker-Gruppe gehören 398 (davon 234 deutsche) Unternehmen und insgesamt 28.354 Beschäftigte weltweit.
Experten-Meinung: Manfred Gotta nennt Qualität, Innovationen und neue Produkte als Erfolgsrezept.
Seit der Gründung von Dr. Oetker im Jahr 1891 setzt das Familienunternehmen auf Werte wie Kontinuität, Zuverlässigkeit, Solidität und Qualität. Rund 4.500 Beschäftigte arbeiten heute allein an den sechs deutschen Standorten, die zur Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG, dem deutschen Kernunternehmen, gehören.
Was macht die Marke so erfolgreich, dass sie auch nach 125 Jahren noch besteht? „Produkte mit erstklassiger Qualität sind der entscheidende Erfolg“, sagt der Markennamen-Entwickler Manfred Gotta. Die Marke Dr. Oetker habe sich zudem kontinuierlich verjüngt und mit neuen Produkten neue Zielgruppen erreicht. „Sie ist nicht wie das Duftwasser 4711 immer älter geworden.“
Oetker zeichne sich durch Qualität, Innovationen und neue Produkte aus – „im Prinzip ein einfaches Rezept“, sagt Gotta.
Die Klarheit und Unverwechselbarkeit einer Marke nennt Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbandes, als weitere Erfolgsfaktoren. „Marken bilden Wertegemeinschaften mit Verbrauchern. Sie spiegeln die Werte der Mitte der Gesellschaft wider“, sagt Köhler. Das erzeuge ein Gefühl von Vertrauen und Verlässlichkeit. Alte TV-Werbefilme (Klementine, die einer Hausfrau mit dem Waschmittel Ariel half, oder Frau Sommer, die der frustrierten Ehefrau mit Jacobs-Kaffee zur Seite sprang) hätten Rollenbilder übernommen und Menschen zusammengebracht. Es sei Jacobs schwer gefallen, Frau Sommer zeitgemäß zu ersetzen. Der Wüstenfilm für Jacobs-Krönung sei ein Flop gewesen.